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Hieroglyphen-Satz

Das Angebot von Frau Dr. Richter, Leiterin des Museums für Druckkunst in Leipzig, für die Kabinettausstellung „Neue Wege zu alter Weisheit. Hieroglyphen im Buchdruck“ einen Hieroglyphen-Satz zu setzen, betrachtete ich als verspätete aber dennoch einmalige Chance und besondere Aufgabe nach einem bereits erfolgreichen Berufsleben. Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Ägyptischen Museum der Universität Leipzig. Für die anspruchsvolle Satzarbeit sollte ich Unterstützung von Dr. Peter Dils, Ägyptologe, und seinem Team bekommen. Dafür war ich sehr dankbar, denn ich brauchte für die Satzarbeit ein aussagefähiges Manuskript und hatte obendrein keinerlei Vorstellung, welche Typen ich dafür aus welchem Schriftkasten benötigte. Zum einen ging es hier nicht um einen normalen Text und zum anderen waren die Schriftkästen, in denen die Hieroglyphen abgelegt waren, nicht nach deutscher Setzkasten-Norm bestückt.

Der große Hieroglyphen-Setzkasten

Im Vorfeld listeten die Experten akribisch auf, welches Schriftsymbol sich in welchem Kasten und in welchem Fach befand. Das Manuskript wurde von Dr. Dils mittels eines Hieroglyphen-Font am Computer erstellt. Die benötigten Schriftsymbole waren nach einem Koordinatensystem in den Setzkästen sortiert. Die Vorarbeit dauerte ungefähr eine Stunde. Danach konnte ich mit dem eigentlichen Satz beginnen.

Es stellte sich heraus, dass ich, wegen der unterschiedlichen Schriftgrade der einzelnen Typen ohne Winkelhaken arbeiten musste. Zwei, drei oder sogar vier Symbole übereinander zu einem Begriff zu kombinieren, war hierbei die eigentliche Herausforderung. Dazu musste ich unterschiedliche Schrifthöhen innerhalb einer Zeile ausgleichen. Ich entschloss mich, die selbe Setztechnik wie für ein Plakat anzuwenden. Dabei werden die Typen auf dem Setzschiff zusammengestellt und anschließend mit Blindmaterial aufgefüllt.

Vorab schätzte ich die Satzbreite auf 28 Cicero, musste aber dann in der Praxis auf 32 Cicero erweitern, da ich die einzelnen Typen mit 2 bis 4 Punkt gesperrt hatte.
Es war notwendig, einige Lettern zu bearbeiten (sägen, ausklinken). Außerdem habe ich die erste Zeile mit einem zusätzlichen Papierstreifen an der Durchschuss-Reglette stabilisiert, da Schriftgrad und Blindmaterial nicht hundertprozentig übereinstimmten.
Nach zwei Stunden hatte ich die erste Zeile fertig und die Typen der zweiten Zeile ohne Blindmaterial zusammengestellt.

Die ersten Zeilen

Es bleibt noch zu erwähnen, dass ich die einzelnen Typen innerhalb einer Zeile nicht nur in der Höhe ausgleichen musste, sondern auch in der Breite, da die einzelnen Typen unterschiedlich breit waren. Damit bildeten die zusammengesetzten Lettern eine geschlossene Einheit – praktisch ein kleiner Satz im Satz. 

Die Detailansicht der zusammengesetzten Symbole

Ich hätte bei einigen Typen zum Ausgleichen 4-Punkt-Gevierte haben müssen, um sie exakt auf Mitte zu stellen (das Minimum sind 6 Punkt-Gevierte). Dieses kleine Problem habe ich mit angefeuchteten Papierkügelchen gelöst, die ich mithilfe der Ahle in die entsprechenden Zwischenräume gesteckt habe.
Das Ausschließen bzw. Fertigstellen der zweiten Zeile dauerte 45 Minuten. Danach begann ich mit der dritten Zeile. Langsam bekam ich Routine, da sich die Probleme wiederholten und ich nun wusste, worauf zu achten war.

Der Arbeitsplatz

Nach Fertigstellung der dritten Zeile band ich den Satz aus. In Vorbereitung stellte ich die Typen für die letzte, also vierte Zeile schon einmal in einem Holzwinkelhaken zusammen, um am folgenden Tag den Satz fertigzustellen.
Vorab gab es aber erstmal eine Besprechung mit Herrn Dr. Dils und Frau Hertel (wissenschaftliche Mitarbeiterin des Museums und Kuratorin der Ausstellung). Hierbei ging es um eine erste Einsichtnahme und gegebenenfalls Korrektur der gesetzten Zeilen.

Fachhieroglyphisch: „Der Standardschriftkegel der Hieroglyphen war 18 Punkt, Symbole, die mit anderen Symbolen kombiniert werden mussten, hatten allerdings 4, 6, 8 oder 12 Punkt-Kegel. Übereinander gestellt ergab sich bei einigen Symbolen dann eine Schriftgröße von bis zu 2 Cicero, also 24 Punkt. Dadurch entstanden letztendlich vier Zeilen mit unterschiedlicher Zeilenhöhe, nämlich von 18 bis 24 Punkt: Erste Zeile = 20 Punkt, zweite Zeile = 18 Punkt, dritte Zeile = 24 Punkt und vierte Zeile wieder 18 Punkt.“

Nach der Autorenkorrektur hatten dann alle vier Zeilen die gleiche Höhe von 18 Punkt, da ich auf Anraten von Dr. Dils große Symbole durch diejenigen eines kleineren Schriftgrades ersetzt habe. Dadurch ergab sich auch ein gefälligeres Gesamtbild des Satzes.
Generell: Der britische Ägyptologe Sir Alan Gardiner hat den Font so entwickelt, dass alle Hieroglyphen innerhalb einer Zeilenhöhe von 18 Punkt bleiben. An den Stellen, wo das nicht gelingt, muss der Herausgeber vom hieroglyphischen Steinoriginal abweichen.

Nach einer zweiten und letzten Korrektur wurde auf der Linotype (Zeilensetzmaschine) die deutsche Übersetzung des Textes in 12 Punkt Times gesetzt. Nun mussten diese Zeilen noch dem Hieroglyphensatz angepasst werden, um den Text in einer extra Form bzw. in einer zweiten Farbe in den Hieroglyphentext einzudrucken. Dazu hatten sich Frau Hertel und ich entschieden, um dem Drucker die Arbeit zu vereinfachen. Ansonsten hätten die Maschinensatz-Zeilen dem Hieroglyphensatz in der Schrifthöhe angepasst werden müssen, denn die Hieroglyphen-Lettern sind um etwa ein Punkt höher als die deutsche Schrifthöhe.  

Der fertige Satz im Schließrahmen

Den fertigen Hieroglyphen-Satz schloss ich in einen kleinen Schließrahmen, um ihn auf lockeres Blindmaterial zu prüfen. Das Ergebnis ist hier und in der Ausstellung im Museum für Druckkunst noch bis zum 11.9.2022 zu sehen.