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Zeichen der Zeit

Unter diesem Titel luden das Polygrafen Kollektiv Leipzig und der Gestalter, Buchdrucker und Verleger Klaus Raasch aus Hamburg am 4. August 2022 zu einem ganz besonderen Filmabend ein. Für zwei Stunden begaben sich 30 Gäste auf eine Reise an längst verlassene Orte der Schwarzen Kunst und in die Welt der Zeichen. Wie das unter Asche verborgene Pompeji lebten die Imprimerie Nationale, die französische Staatsdruckerei in Paris und die bedeutendste Fremdsprachendruckerei Europas – J.J.Augustin in Glückstadt – noch einmal auf und wurden zum Leuchten gebracht. Das LURU-Kino in der Baumwollspinnerei bot dafür die perfekte Kulisse.

Alle drei gezeigten Filme wurden von diethede, einem Kollektiv von Dokumentarfilmern, produziert, das 1980 in Hamburg-Altona gegründet wurde. Nach dem Modell „Produktion und Vertrieb in eigener Hand“ entstanden so, unabhängig von öffentlich-rechtlichen Sendern oder anderen Auftraggebern, in 37 Jahren bereits 60 Filme. Seit 2017 wird diethede als Verein geführt.

SCHRIFT IST EIN ABENTEUER

D 2007, 38 Minuten

Buch/Regie: Maria Hemmleb, Artur Dieckhoff

Kamera: Christian Bau, Bettina Clasen

Montage: Maria Hemmleb

 

Nachdem die Räumlichkeiten der französischen Staatsdruckerei in Paris unter weltweitem Protest verkauft wurde und der Umzug in ein temporäres Provisorium bevorstand, wurde 2005/2006 der Dokumentarfilm gedreht. Es wird ein letzter Blick in die historische Betriebsamkeit gewährt, die von den Schriftkünstlern, Setzern und Druckern ausgeht. „Der eigentliche immaterielle Schatz befindet sich in den Köpfen und den Händen der Kollegen – das Wissen um das Abenteuer Schrift“, so wird es treffend zu Beginn des Films ausgesprochen. 

 

Die Begeisterung für Schriftzeichen geht schnell auf den Zuschauer über während die Protagonisten leidenschaftlich von ihrer Arbeit erzählen. So schauen wir der letzten Stempelschneiderin Nelly Gable beim Rekonstruieren der historischen Schrift Garamond zu. Sie liebt das Schneiden von kursiven runden Buchstaben, weil hier die Zeichen in Bewegung geraten. Ein Stempel ist für sie wie eine Skulptur. Dabei muss sie akkurat und genau einen speziellen Stahl bearbeiten, denn sie hat immer nur einen Versuch.

 

Das Abenteuer Mensch findet sich in der Schrift wieder, so resümiert der Druckermeister Frédéric Tachot, der mit der Zigarette im Mundwinkel noch schnell einen Druckabzug macht. Er vergleicht die Letter mit einem Lebewesen: „Oben ist der Kopf, unten der Fuß, auf jeder Seite das Fleisch, das den Abstand zwischen den Buchstaben ergibt. Er kann mehr oder weniger sympathisch sein. Die druckende Partie nennt man das Auge, die Größe den Körper …“ Er verweist auch auf die oftmals interessanteren Rückseiten von Holzlettern. Spuren von aufgeklebtem Zeitungspapier oder ein weiteres handgeschnittenes Zeichen erzählen dort eine ganz eigene Geschichte.

 

Der einmalige Schatz an Druckschriften aus den letzten 300 Jahren wird gezeigt. Darunter befinden sich komplette Zeichensätze von Aramäisch bis zu Hieroglyphen, der weltweit größte orientalische Schriftbestand, die original Gießmatrizen der Garamond aus der Barockzeit, der kleinste Stempel mit 6 Gramm und der größte mit einem Gewicht von 6 Kilogramm. Alle Schriften der Imprimerie Nationale finden sich in dem Buch Das Kabinett der Schriftstempel wieder.

 

Der Film entstand mit Unterstützung der Heidelberger Druckmaschinen AG und aus der Zusammenarbeit der Assoziation Europäischer Druckmuseen. Er wurde das erste Mal 2008 unter dem Titel Zeichen der Welt oder Wie das Fremde ins Buch kam bei einer Ausstellung im Museum der Arbeit in Hamburg gezeigt. Überraschenderweise kamen zu dieser Filmpremiere 300 Gäste. So erzählte es Klaus Raasch im Anschluss an unsere Filmvorführung. Vor dem elektronischen Satz wurden die erforderlichen Lettern mechanisch hergestellt. Zentrale Staatsdruckereien besaßen einen großen Vorrat an fremdsprachlichem Satz. So auch die größte private Fremdsprachendruckerei J.J.Augustin in Glückstadt. Anlässlich ihres 375. Jubiläums zeigte die oben erwähnte Ausstellung in Fotos, Satzmaterial und Büchern die Arbeit des Betriebs, der seit Mitte der 1920er Jahre vielfältige Publikationen im Bereich der Altertumskunde, der Sprachwissenschaft und der Landeskunde hervorbrachte. Film und Fotos von Bettina Clasen erläutern den Schriftschnitt in der Imprimerie Nationale in Paris. Das Satzmaterial und die Arbeitsdokumente belegen die Tätigkeit der Fremdsprachensetzer in der Reichs- bzw. Bundesdruckerei Berlin.

 

Dieser Film hatte die Türen in Glückstadt geöffnet und damit auch das nächste Projekt angestoßen. Walter Prueß, der letzte Geschäftsführer und Verwalter der Druckerei J.J.Augustin, war nach dem Erfolg des ersten Films auch davon überzeugt, dass hier keine Laien, sondern ehrliche Interessenten um Einlass bitten.

ZWIEBELFISCHE

Jimmy Ernst, Glückstadt – New York

D 2010, 58 Minuten

Buch/Regie: Christian Bau, Artur Dieckhoff

Kamera: Barbara Metzlaff, Jörn Staeger

Montage: Maria Hemmleb

Musik: Ulrike Haage

 

Der Regisseur Christian Bau hat mehr oder weniger zufällig im Vorfeld zu den Filmarbeiten die Autobiografie von Jimmy Ernst gelesen und war dann selbst an dem im Buch benannten Ort. Zudem war sein Vater Arzt und Kunstsammler und somit im Besitz des surrealistischen Schlüsselbildes von Max Ernst Rendezvous der Freunde. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich das ganze Projekt. Während der Dreharbeiten ergaben sich die drei Erzählstränge: das Schicksal von Jimmy Ernst und das der Druckerei J.J.Augustin sowie die Entwicklung der Schrift. 

 

Glückstadt am Fleth wurde von den Dänen als Konkurrenz zu Hamburg gegründet. Allerdings wurde die Rechnung ohne die Elbe gemacht, der Hafen versandete ständig und die großen Frachtsegler fuhren weiter in die Hansestadt. In dieser malerischen Kulisse entstand 1632, nur 15 Jahre nach der Stadtgründung die erste königliche Buchdruckerei. 1775 begann mit dem Kauf durch Jakob Johann Augustin die Ära der Druckerei J.J. Augustin. In der Blütezeit Anfang des 20. Jahrhunderts waren hier zeitweise bis zu 120 Mitarbeiter beschäftigt, die in 108 Fremdsprachen für Kunden in der ganzen Welt druckten.

 

Dem fünfzehnjährigen Jimmy Ernst, Sohn des Malers Max Ernst und der jüdischen Kunsthistorikerin Lou Straus wird hier von der Familie Augustin 1935 Unterschlupf gewährt. Unter dem Schutz des Hauses wurde er zum Schriftsetzer ausgebildet und konnte 1938 noch rechtzeitig in die USA auswandern, wo er bis zu seinem Tod als Künstler lebte.

 

Die Maschinen in der einst bedeutendsten Fremdsprachendruckerei stehen seit den 1970er Jahren still. Die innovativen Monotype-Maschinen sind verrostet. Jegliche Bemühungen den Ort würdig zu aktivieren scheitern bis heute.

 

Die Produktion des Films war aufgrund spezieller Kamerafahrten und -technik sehr aufwändig. Die Musik wurde eigens von der Pianistin Ulrike Haage komponiert. Film und Musik wurden 2010 mit dem Norddeutschen Filmpreis ausgezeichnet. Die Fotos von Candida Höfer, die für ihre Innenaufnahmen bekannt ist, kamen als I-Tüpfelchen dazu. Diese sind im Abspann und im parallel von der Edition Raasch herausgebrachten Buch zu sehen. Ihr gefiel das Projekt und schnell war sie vom verwilderten Areal der verlassenen Druckerei überzeugt. Für die Aufnahmen musste alles weggeräumt werden, was nichts mit der Druckerei zu tun hatte, jedoch ohne dabei die Patina zu beschädigen. Die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein GmbH und die Filmwerkstatt Kiel der FFHSH haben die Umsetzung unterstützt.

 

Der Film wurde erst im Museum für Arbeit in Hamburg vorgestellt, ging dann inklusiv einer Ausstellung ins Gutenberg Museum nach Mainz. Danach wanderte die Ausstellung ans Max Ernst Museum in Brühl und weiter ans Landesmuseum Schloss Gottorf. Dort und auf verschiedenen Festivals wurde der Film gezeigt. 

 

Die breite Reaktion und der Erfolg des Films gaben dem Interesse des Wiederauflebenlassens des Ortes neuen Schwung. Langfristig strebten die Macher die Einrichtung eines aktiven Museums an und gründeten den Verein Zeichen der Welt. Damit sollte nicht nur das historische Gebäude, die Drucktechnik sowie die vorhandenen Schriften der Druckerei erhalten, sondern auch ein guter Ausgangsort für Künstler, Handwerker und Literaten geschaffen werden. Leider spielte das kleinstädtische Glückstadt, was einst für die ganze Welt gedruckt hat, nicht mit. Der einstige Spirit Augustins erlosch nach und nach, trotz Förderung durch das Land Schleswig-Holstein und möglichen Mitteln vom Bund. Selbst das gegenüberliegende Detlefsen-Museum kannte den Schatz nicht. Der vordere Bereich des Gebäudes steht mittlerweile unter Denkmalschutz, das Setzereigebäude allerdings nicht. Gut, dass zumindest das Inventar in Sicherheit gebracht werden konnte. Schleswig-Holstein hat die Bibliothek in Obhut genommen, die Matrizensammlung wurde mit Hilfe der Rudolf Augstein Stiftung erfasst und gesichert. Allein vom kleinen a existieren 400 Varianten. In den verschlungenen Kellergewölben lag vor einigen Jahren noch alles voller Blei. Was aus dem historischen Ort wird, liegt am Ende in der Hand der Nachkommen.

CHINESISCHE RADIKALE

Der Matrizenfund in Glückstadt

D 2018, 25 Minuten

Regie: Maria Hemmleb, Artur Dieckhoff

Idee/Buch: Christian Bau, Artur Dieckhoff

Kamera: Jonny Müller-Goldenstedt

Montage: Maria Hemmleb

Ton: Maik Farkas

Sounds: Franz Danksagmüller

Der dritte Film erzählt vom Chinesischen Zirkel, einer Erfindung von Heinrich Wilhelm Augustin. Bereits 1912 erhält die Druckerei eine Anfrage für den Werksatz zum Thema Ackerbau und Seidengewinnung in China. Dafür besorgt sich Augustin 7.200 chinesische Schriftzeichen. Der Schriftsatz erweist sich jedoch als zu klein als 1926 das Jahrbuch des Clubs chinesischer Studenten in Berlin gesetzt werden soll und wird um weitere 12.000 Zeichen erweitert. Diese Menge an Zeichen musste nicht nur sinnvoll untergebracht werden, sondern auch vom Setzer gut und praktisch händelbar bleiben. Also wurden die Setzkästen in sieben Segmenten eines Achtecks neben- und übereinander gestapelt. Der Aufbau glich der einer Arena, in der sich der Setzer frei drehen und bewegen konnte, ohne endlos an langen Regalen entlanglaufen zu müssen. Die Zeichen selbst wurden mit Nummern versehen und in 227 sogenannte Radikale sortiert. Dies ist eine Klassifizierung der Zeichen nach Anzahl und Form der Striche. Anhand der Nummer konnte der Setzer ohne Sprachkenntnisse das richtige Zeichen aus dem Setzkasten fischen.

 

Der größte Chinesische Zirkel war im Keller der Druckerei eingebaut und füllte diesen komplett aus. Sein Zustand war desolat. Er wurde erfolgreich demontiert, restauratorisch aufgearbeitet und steht jetzt im Gutenbergmuseum in Mainz.

 

Im Film besucht der Schriftexperte Jürgen Bönig mit der chinesischen Kalligrafin Ping Qiu Glückstadt. Gemeinsam bergen sie den Fund von tausenden chinesischen Lettern und entsprechenden Matrizen. Zusammen mit dem Graveurmeister Daniel Janssen und dem Monotype-Spezialisten Erich Hirsch entsteht während des Films die chinesische Letter und Matrize für das Wort Zeichen, ganz wie in den Zeiten von Augustin.

Text: Ilka Zoche, Klaus Raasch / Fotos: Ilka Zoche, Matthias Knoch / Galeriebilder Screenshots aus den Filmen mit freundlicher Erlaubnis von diethede