Hektisch fahre ich den PC runter, speichere schnell noch zwei Dokumente – eine Exceltabelle mit 800 Zeilen und ein Bericht mit Kopf- und Fußzeile. Ich radle los, 20 Minuten in die Nonnenstraße zum Handsatzkurs. Ich bin eine Textarbeiterin und ahne nicht, dass mich dort eine verwunschene Welt vergangener Zeiten erwartet. Unüberschaubar viele schwere Setzkästen mit Lettern, ein original Setzerarbeitsplatz mit schwenkbarem Schemel, auf den ich mich nicht setze, weil ich viel zu aufgeregt bin, empfangen mich. Meister Seppelt führt uns in diese Welt der Setzerei ein, die von Fachbegriffen nur so wimmelt. Ausschluss, Cicero, Fisch, Geviert, Spatien, Zwiebelfisch begleiten mich in den acht kommenden Unterweisungen. Ich bekomme einen Winkelhaken, den meine schwitzigen Finger umklammern, immer darauf bedacht, dass mir das Ding niemals runterfällt und die mühsam zusammengesuchten Zeichen auf dem Fußboden verteilt werden.
Nach drei Stunden halte ich mein erstes Werk in den Händen: zehn Zeilen Text im Blocksatz frisch gedruckt auf einer Karte. Ein dadaistisch anmutender Text, der von „Leichen“, „Spießen“, „Hochzeiten“ und Rechtschreibfehlern nur so wimmelt. Es ist anstrengend, konzentriert zu bleiben, weil alles neu ist und ich ungeübt bin. In welchem Fach befindet sich „Q“ im Setzkasten? Auf der Tastatur finde ich die Buchstaben blind. Was tue ich, wenn die Zeile des Winkelhakens zwar gefüllt ist, aber immer noch wackelt? Herr Seppelt rät: „Ausschließen“. In meinem Arbeitsalltag löst das für mich die Textverarbeitung hinter den Kulissen. Die wahre Herausforderung steht uns jedoch noch bevor – eine Meldzettel im Tabellensatz. Meister Seppelt lächelt wissend. Zuerst rechnen wir, aber nicht die Zelleninhalte sondern die Maße der Tabelle im „Satzschiff“, abzüglich der halbfetten Linien und zentrierten Spaltenüberschriften in 8-Punkt-Schrift. Hätte ich mal gründlich gerechnet, dann wäre ich in der Lage gewesen, die Leerstellen gezielt mit „Gevierten“, „Regletten“ und „Konkordanzen“ zu füllen. So probierte ich nach Augenmaß und Fingerspitzengefühl. Es entstand ein Unikat, das auch im Druck funktionierte, jedoch niemals rekonstruierbar sein würde.
Den Kurs verlasse ich nach acht Treffen in der Werkstatt stolz mit einer echten Urkunde, fünf gedruckten Postkarten und wahren Einsichten:
Erstens: Die Setzer sind äußerst akkurat arbeitende Handwerker. Wer versucht zu schummeln, fliegt sofort auf.
Zweitens: Ohne Wörterbuch der Setzersprache ist man aufgeschmissen.
Drittens: Die größte Mühe bereiten die Bereiche, die nicht zu sehen sind.
Zurück am PC freue mich darüber, wie jeder Zeilenumbruch automatisch gelingt. Eine neue Zeile in eine Tabelle einzufügen – ein Kinderspiel. Dank des Handsatzkurses bekomme ich eine Ahnung, welche handwerklichen Vorgänge die Software ersetzt, jedoch nur teilweise. Es riecht nicht nach Arbeit, es fehlt die Atmosphäre im „Offizin“, die Schwere der Setzkästen, die Haptik der Lettern und die Druckerschwärze an den Fingern. Herzlichen Dank, Herr Seppelt, für die Einblicke in Ihre ausgefeilte Handwerkskunst.
Text: Ulrike Richter
Kursprogramm im Überblick
Übung 1 – Glatter Satz (10 Punkt Schrift auf 20 Cicero, mindestens 20 Zeilen nach Manuskript, ca. 1.066 Anschläge)
Lernziel: Winkelhaken stellen, Haltung des Winkelhakens, Ausschluss (Spatien, Quadrate, Regletten, Gevierte usw.) kennenlernen, Lettern in Winkelhaken stellen, Wortzwischenräume bei Blocksatz verringern bzw. erweitern, Zeilen aus dem Winkelhaken ausheben, Satz ausbinden, abziehen, ablegen
Übung 2 – Satz einer Akzidenz (in unserem Falle eine Grußkarte) zur Selbstnutzung
Lernziel: Manuskripterstellung, Scribble/Entwurf, was ist ein Satzspiegel, Farbigkeit, Schriftwahl
Übung 3 – Satz einer Tabelle nach Manuskript
Lernziel: Genaues Setzen nach vorliegendem Manuskript, Kennenlernen von Linientypen/Linienstärken, Satztechnik für Tabellenkopf, Linienanschlüsse, Satz der Querlinien als zweit Form
Meister Seppelt stellt sich vor
Wie bin ich in das Museum für Druckkunst gekommen? Das beinhaltet auch die Frage: Wie bin ich nach Leipzig gekommen? Der Grund war, wie so häufig, die Liebe. Aber nicht die Liebe zum anderen Geschlecht, sondern die Liebe zu dieser Stadt. Ich wollte hier in Leipzig meinen Lebensabend verbringen aber gleichzeitig auch ehrenamtlich tätig sein. Und was liegt da näher, wenn man schon Schriftsetzer gelernt hat und im grafischen Gewerbe tätig war, seine Dienste dem Museum für Druckkunst anzubieten? Und nun bin ich hier schon seit einigen Jahren!
Dieter Seppelt ist Jahrgang 1946 und gelernter Schriftsetzer. Ab 1967 war er als Akzidenzsetzer in einer Spezialdruckerei für Bahn- und Postformulare tätig. Von 1971 bis 1984 arbeitete er als Korrektor in der Qualitätskontrolle. Als Designer in der Grafikabteilung gestaltete er ab 1987 Geschäftsdrucksachen und Corporate Identities und konzipiert komplizierte Durchschreibe-Formulare am Macintosh-Computer. Von 1995 bis 1999 leitete er die Druckvorstufe. Aufgrund von innerbertieblichen Umstrukturierungen wird er ab 2001 zum Produktioner in der Herstellungsabteilung des hauseigenen Verlages. Seit Sommer 2009 ist Herr Seppelt im wohlverdienten Ruhestand. Naja, nicht ganz. Denn schon seit 2010 arbeitet er als Redakteur und Hersteller für ein städtisches Senioren-Journal und veröffentlicht eigene Bücher.
Fotos: Ilka Zoche, Ulrike Richter, Alexander Warkus