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Vom Winde verweht

„La carta ha futuro“ – Papier hat Zukunft: Mit diesem Statement begrüßt das Museo della Carta e della Filigrana im italienischen Fabriano, dem Geburtsort der europäischen Papierherstellung, seine Gäste. Eine bessere Aufforderung, sich der Papierherstellung zu widmen, gibt es für uns kaum.

 

Die weite Reise in die Marken sparen wir uns jedoch. Denn einerseits bietet die Papierindustrie in Mitteldeutschland ebenso viel Unerwartetes und andererseits steht das diesjährige Sommerwetter dem in Italien in nichts nach.

Ein Besuch bei Koehler Paper in Greiz

Die Reise führt uns nach Thüringen, nach Greiz – Zentrum der Papierindustrie seit 1591. Die Alte Papierfabrik mit Ursprüngen aus dem Jahr 1634 zeugt von dieser langen Tradition. Heute ist sie ein Kulturzentrum. Die erste industrielle Papiermaschine, die dort im Jahr 1865 den Betrieb aufnahm, kam von einer Firma Köhler aus Nossen. Wie es der Zufall will – nach sieben weiteren Papiermaschinen und dem Umzug an einen nahegelegenen neuen Standort im Jahr 1971 – kaufte die Koehler-Gruppe den Traditionsbetrieb, der heute durchgefärbte Naturpapiere aus 100 Prozent Recyclingfasern herstellt.

Papierabfälle in allen Farben

Die Besonderheiten einer Papierfabrik, die mit Recyclingfasern produziert, nehmen wir sofort wahr. Das gesamte Werksgelände liegt voller Papierballen. Sortiert nach Farben und Qualitäten bieten sie ein interessantes Bild: Aus der Ferne leuchten sie in allen Pastelltönen, die man sich vorstellen kann: quittegelb, lindgrün, pfirsichfarben. Geht man näher heran, sind manche Entdeckungen vorprogrammiert – Ballen mit gepressten Pokémon-Heften, Prospekte eines Baumarktes, Literatur in bekannten und unbekannten Sprachen soweit das Auge reicht. Fotomotive, wie man sie sonst wahrscheinlich nirgends vor die Linse bekommt.

 

Den zweiten Eindruck bestätigt Thomas Wuttke, Key Account Manager im Unternehmen und außerdem „einer von uns“. Der Wind ist der Hauptfeind eines Betriebes, der Papiere recycelt. Auf den Freiflächen tummeln sich Papierfetzen aller Art, auch wenn sie Stunde um Stunde weggeräumt, aufgesaugt und eingesammelt werden. Im engen Tal der Göltzsch pfeift der Wind und lässt die Zettel tanzen.

Ressourcen nutzen und schonen

In den ersten Gebäuden der Fabrik empfangen uns Hitze, hohe Luftfeuchtigkeit und eine kraftvolle Geräuschkulisse – mal schwächer, mal stärker. Die Anlagen bereiten die angelieferten Papiere in mehreren Stufen auf, befreien sie von Fremdkörpern, Druckfarbe und weiteren Bestandteilen. Es entsteht ein Faserbrei wie man ihn in jeder anderen Papierfabrik sieht. Nur eben aus Recycling-Fasern. Und für die Reste gibt es auch eine Verwendung. Ziegeleien nutzen sie als Bestandteil ihrer eigenen Produkte.

 

Das Labor ist nicht weit: Hier erfolgen die Tests, damit das Papier Charge um Charge identische Eigenschaften aufweist. In einem Nebengebäude in Sichtweite befindet sich die Wasseraufbereitung. Dirk Hoffmann, Qualitätsmanager im Unternehmen, erläutert: „Das aus dem Fluss entnommene Wasser wird ihm wieder zugeführt. Sauberer als vorher.“

 

Und dann kommt endlich das Herzstück des Betriebes – die Papiermaschine. Etwa 100 Meter lang, 2,72 Meter Arbeitsbreite. Das ist bestimmt kein Superlativ in der Industrie, aber für die Produktion von Recycling-Papieren mehr als respektabel. Durch regelmäßige Revisionen und Anbauten ist die Anlage auf dem neuesten Stand der Technik. In der ihr eigenen Gelassenheit produziert sie Tag für Tag etwa 100 Tonnen Papier.

Produktvielfalt bis ins Luxus-Segment hinein

Konfektionierung und Lager sind erneut ein Augenschmaus für Besucher. In Rollen- und Bogenware, auf Palette oder geriest tummeln sich hier Papiere, die unter den Marken Eco Paper, creative print, COLORline IQ und Creative Board weltweit im Handel sind. In Grammaturen zwischen 90 und 350 g/m2, in über 30 Farben. Allein über die Abfolge, in der sie auf der Papiermaschine produziert werden, lassen sich Seiten füllen.

 

Genauso umfangreich wie die Produktvielfalt sind die Anwendungen: Von hochwertigen Verpackungen und Taschen über Broschüren- und Bucheinbände, den Bastelbedarf, die Kalenderproduktion, bis hin zu Digitaldruck-Erzeugnissen reicht das Spektrum der Endprodukte. Die Papiere lassen sich bedrucken, prägen und in vielen anderen Formen veredeln. Alle Koehler Greiz-Qualitäten sind mit dem Umweltzeichen Blauer Engel ausgezeichnet.

 

Sandra Schmidt von der Europapier Group schrieb kürzlich in der Fachzeitschrift Graphische Revue über die Papiere aus Greiz: „Jeder Farbton fängt die Essenz der Welt um uns herum ein und verleiht Projekten Wärme und Tiefe.“ Dazu gehören immer häufiger Projekte von Markenartiklern, auch einigen sächsischen – beispielsweise aus der Uhren-, Schmuck- und Porzellanindustrie, deren Verpackungen wir bewundern.

 

Und noch etwas nehmen wir aus unserem kleinen Exkurs durch die Welt der Recycling-Papiere mit: Die weißen Bons von den Supermarktkassen lassen sich nicht recyceln. Sie gehören in die gelbe Tonne. Die blauen Quittungen sind recycelbar und damit Papierabfall.

Text: Martin Dänhardt / Fotos: Ilka Zoche