Am 16. November trafen wir uns in Leipzig, um versteckte und unzugängliche Plätze in der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) zu entdecken. Christine Hartmann zeigte uns die „Hidden Places“ – die sich auch im Rahmen öffentlicher Führungen und teilweise mit Hilfe des Blogs der DNB erkunden lassen. Deswegen halten wir uns hier an Johann Gottfried Seume, der in seinem „Spaziergang nach Syrakus im Jahr 1802“ (also vor genau 222 Jahren) schreibt: „Ich stehe für alles, was ich selbst gesehen habe, insofern ich meinen Ansichten und Einsichten trauen darf.“
Wir trauen Christines Ansichten und starteten unseren Rundgang auf der Hochzeitstreppe. Geheiratet hat hier niemand. Doch warum heißt sie so? Auf der Website der DNB gibt es dazu 0 Treffer. Also beginnen die ersten Vermutungen und Interpretationen: Die Treppe verbindet den 2011 eröffneten 4. Erweiterungsbau mit dem Hauptgebäude aus dem Jahr 1916. Das wird der Grund für den Namen sein.
Unterm Dach
Wir steigen weiter nach oben und sind schon bald unter dem Dach des Altbaus: Zeitschriftenarchiv, Buchtransportanlage – außer uns kein Mensch weit und breit. Und schon öffnet sich ein Fenster. Wir befinden uns auf der Rückseite der markanten Fassadenuhr – es ist 18.40 Uhr. Wir genießen den atemberaubenden Blick durchs Ziffernblatt auf den relativ verwaisten Deutschen Platz.
Viel zu schnell geht es weiter nach oben. Hier befand sich das Sperrmagazin, in das lange Zeit nur wenige Menschen Zugang hatten. Heute laufen wir durch, ohne dass es jemanden interessiert. Das Ziel ist die Rotunde, früherer Uhrenturm, danach Lesesaal zum Sperrmagazin und damit „Giftturm“ des Hauses. Heute präsentiert er sich eher harmlos: holzgetäfelt, mit Fenstern und Austritten, die einen Rundblick über die gesamte DNB mit ihren Erweiterungsbauten, die Stadt und die Russische Gedächtniskirche bieten. In einer Ecke liegen Yogamatten. Damit ist die heutige Nutzung geklärt.
An der Tür zur Generaldirektion knacken wir ein Typorätsel. Abgesehen von miserabel ausgeglichenen Versalien lenkt Christine unsere Blicke auf die beiden „N“ im Wort. Richtig, das erste der beiden ist um 180 Grad verdreht. Ganz eindeutig! Die Direktoren sind links und rechts neben der Tür in Öl auf Leinwand verewigt. Alle? Nicht alle. Die letzten beiden mussten sich mit großformatigen Fotografien begnügen.
Im Keller
Es geht nach unten. Am Zeitschriftenlesesaal vorbei. Im Moment ist er Baustelle. Am Haupteingang vorbei. Der Wachmann sieht uns interessiert hinterher. In den Keller. Der Glanz des Treppenhauses verblasst. Wir stehen in einem unendlich langen Kellergang. Er ist mit hell glasierten Ziegeln verblendet. Ansonsten passt er mit seiner modernen Brandschutzausstattung und Gebäudeausrüstung überhaupt nicht zum ehrwürdigen Gebäude. Jedoch eins ist geblieben: In diesen Tiefen befindet sich der Grundstein des Hauses. Die Jahreszahlen 1914–1916 verweisen auf Baubeginn und Fertigstellung. Ob sich auch heute noch Großprojekte dieser Art in einer so kurzen Zeit stemmen lassen? Wir denken positiv.
Weiter geht es durch den Kellergang. Der Übergang vom Hauptgebäude zum Magazinflügel des 4. Erweiterungsbaus lässt sich durch eine Brandschutztür erahnen. Dahinter befindet sich ein weiterer endloser Gang, jetzt ganz aus Beton. Wir biegen ab und finden uns in einer Schleuse wieder. Die erste Tür schließt sich, eine andere geht auf. Wir stehen in einem der modernen Magazine des Erweiterungsbaus und sind beeindruckt. Rollregale soweit das Auge reicht. Nachts sind sie jeweils einen Spaltbreit geöffnet, um die Medienwerke unter optimalen klimatischen Bedingungen zu lagern.
Es geht zurück durch die Schleuse, eine Treppe nach oben. Kaum zu glauben, zwei kurzweilige Stunden sind vergangen und wir betreten durch eine Tür „Nur für Mitarbeiter“ das Foyer des Museums. Gerne hätten wir mehr gesehen. Sicher kommen wir wieder, denn die DNB bietet Dauer- und Sonderausstellungen sowie unterschiedliche Führungen durchs Haus.
Fazit
Die kulturellen Angebote der DNB sind riesig, sowohl für den Standort Leipzig als auch für Frankfurt/Main. Was kaum einer weiß, Ausstellungsbesuche und Führungen sind kostenlos, da es sich bei der Bibliothek um eine Bundesbehörde handelt.
Der Sammelauftrag der DNB umfasst alle Publikationen in Deutschland, unabhängig von der Sprache und unabhängig davon, ob sie in einem Verlag erscheinen oder privat verlegt werden. Jeweils zwei Pflichtexemplare müssen eingereicht werden. Mit diesem Wissen ging es zurück nach Hause und am nächsten Tag ins Büro, um die beiden Pflichtexemplare für eine jüngst erschienene Publikation nach Leipzig zu senden.
Text: Martin Dänhardt / Fotos: Ilka Zoche